Artikel 1 der Kolumne “Geht das auch anders?”
Na, da stand ich nun, meine Zwanziger waren fast herum. Ich habe alle meine Ziele erreicht: Schule, Ausbildung, Job, Studium, Ehe.
Jackpot! …ah …?!
Nein, leider nicht. Es hat sich in keiner Weise wie ein Gewinn angefühlt. Es war eine Leere und ein tiefes Loch in mir. Ich war unglücklich, aber womit, wusste ich selbst nicht. Es hat eine ganze Zeit gedauert, bis ich aus dieser depressiven Zeit herausgefunden habe.
Die Schlussfolgerung war: Mein Leben macht mich krank.
So wie ich meinen Alltag gestaltet und aufgebaut habe, habe ich zugelassen, dass mein Innerstes verkümmert. Es war nichts Ungewöhnliches an diesem Leben. So verbrachten und verbringen die meisten in meinem damaligen Umfeld ihren Alltag: Aufstehen, zur Arbeit, nach Hause, vielleicht noch auf dem Weg einkaufen, Essen kochen oder etwas von Unterwegs mitbringen, auf dem Sofa chillen, duschen und schlafen. Das Ganze von Montag bis Freitag. Zwischendurch wird noch ein Brückenfest gefeiert und am Freitagabend kann begonnen werden zu leben, bis dann der Montag wieder kommt. Die 30 Tage Urlaub im Jahr haben wir im Ausland verbracht, um auch mal etwas von der Welt zu sehen.
Und Bum! Das ständige Träumen von einem anderen Leben hatte ich satt. Geht das auch anders?
Ich begann, mein Leben wie eine Maschine zu scannen. Was tut mir gut und was nicht? Wo fühle ich mich wohl und wo beginne ich mich intuitiv zu verstellen? Was mache ich eigentlich gerne, oder besser gesagt, was habe ich in meiner Kindheit gerne gemacht?
Wie war das bei dir damals?
Ich habe das Gefühl, seit ich immer tiefer in Schule und Beruf eingestiegen bin, immer ein Stückchen mehr von mir selbst verloren habe – so als hätte ich einen dicken Mantel angezogen. Er passt super in das Gesellschaftsbild und erfüllt tadellos alle Kriterien. Doch es verbirgt mich, wie ich wirklich bin. Mit den Jahren sind mir die Fasern des Mantels bis unter die Haut gegangen, dass ich ihn als Teil von mir angenommen habe. Ich wurde zu einer Person geformt, die ich zu sein hatte, die ich aber nicht war.
Dann kam der verwirrende Moment, an dem ich feststellte, dass etwas nicht stimmt. Alles falsch läuft. Und mein Leben mich krank macht.
Und was jetzt? Kann ich einfach alles hinschmeißen? Nein, war mein erster Gedanke. Ich kann doch jetzt nicht alles auf links drehen! Schließlich haben mich die Abschlüsse viel Zeit und Geld gekostet. Und das ganze Umfeld, was ich mir aufgebaut habe, einfach verlassen?
Doch macht es Sinn, das alte Leben aufrechtzuerhalten, wenn es nicht zu dir passt?
Du verstehst jetzt, denke ich, was ich meine.
Wie ich mein Leben zukünftig verbringen möchte, wurde mir endlich klar. Und es ist ganz anders als die Jahre zuvor. Wo ich genau hin will, sehe ich jetzt genau vor Augen. Und paradoxerweise bin ich auch so mit meinem Mann wieder auf die gleiche Fahrbahn gekommen. Wir möchten ein selbstständiges Leben mit unseren Kindern leben, mit allen Facetten. Das bedeutet, dass wir einen eigenen Hof haben werden, mit Nutztieren und ausreichend Platz für Obst und Gemüse.
Wir haben diesen Lebensstil stückchenweise ausprobiert,
eigenes Gemüse im Garten angebaut, Hühner und Kaninchen gehalten. So viele Dinge habe ich begonnen zu recherchieren und einfach selbst zu machen, anstatt sie zu kaufen. Da ist mir irgendwann auch ein Licht aufgegangen, wie sinnlos zahlreiche Produkte sind, die ich gekauft habe. Es ist so leicht, sie selbst herzustellen oder einfach unnötig sie zu benutzen. Es war ein Gefühl, als ob ich die Welt noch einmal neu zu sehen bekomme.
Ein neuer Job musste auch her.
Das Schreiben gab mir bereits als Teenager viel Trost. Ich schrieb mein Gefühlschaos in Gedichten und anderen Texten nieder. Und mein Mann hatte die Idee, dass ich mit Schreiben mein Geld verdienen könnte. Er hatte bereits zu Studienzeiten immer meine Texte kontrollieren müssen. Es wäre eine Tätigkeit, die ich von überall aus machen könnte. Gesagt, getan. Eine Ausbildung zur Verkaufstexterin kam dann in meine Trophäensammlung.
Zu unserem Bedauern mussten wir feststellen, dass die Umsetzung unserer Pläne in Deutschland nicht möglich ist. So kam das Thema Auswandern an die Tagesordnung.
Und was soll ich sagen, wir stehen zu unseren Plänen, unser Leben anders zu gestalten. Seit Dezember 2023 leben wir in Südamerika. In dem kleinen Land Uruguay, an der Atlantikküste.
Die letzten Jahre waren alles andere als einfach.
Es ist nämlich einige Jahre her, wo ich den Entschluss gefasst habe, dass es auch anders geht. Es ist ein Prozess, der viel Kraft und Überzeugung erfordert. Ich habe einen geregelten Alltag, der aus Haushalt, Kinderbetreuung und Arbeit besteht; versteh mich da bitte nicht falsch. Ich liege nicht den ganzen Tag am Strand und schreibe Texte und sammle Geldscheine von den Palmen. So funktioniert das Leben nicht. Der Unterschied ist, dass ICH jetzt mein Leben gestalte. Das, was ich tue, tue ich für meine Familie und für mich. Es ergibt einen Sinn. Viel mehr Sinn, als in 9 Stunden am Tag Bankkunden zu beraten und mich nach dem Wochenende zu sehnen. Brauche ich eine Auszeit, dann nehme ich sie mir. Der Strand ist nur einige Meter entfernt. Es liegt in meiner Verantwortung.
Ich bin bis jetzt nicht angekommen, wo ich sein sollte.
Aber ich sehe es schon, wenn ich aus dem Fenster blicke. Mein früheres Leben hat mich krank gemacht, doch ich habe festgestellt, dass es auch anders geht. Keiner redet hier von einfach oder schnell, aber es geht.
Hast du Lust mehr zu unserer Auswanderung zu lesen? Ich habe ein Tagebuch erstellt. Schau doch einfach mal rein.
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